In der Landschaft
In der Landschaft
Ergebnis
In der Landschaft
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Landschaft - Vegetationsfarbtupfer - Farbflecken. In seinen Gouachen geht Curd Lessig wohl von ganz bestimmten Landschaftsmotiven aus, verwandelt sie aber im Malprozess in ein fast autonomes Gefüge von Farbformen und skandierenden schwarzen Linien. Die ganz konkrete Topografie regt ihn an, doch topografische Akkuratesse reizt ihn wenig. Das Äußere rührt sein Inneres auf, das entstandene Blatt jedoch folgt seinen ganz eigenen Gesetzen. Vor allem in seinen Gouachen, wo das Zeichnerische naturgemäß weitgehend fehlen muß und die Farbe volltönend die Hauptrolle übernimmt, nähert sich Lessig einem gewissen Grad der Abstraktion. Nähert sich freilich nur. Denn ohne den äußeren, in der Arbeit selbst durchaus nachvollziehbaren Anstoß, tut sich gar nichts. Lessig findet seine Farbanregungen ausnahmlos in der Natur, selbst wenn er sie dann ins völlig Naturferne verfremdet.
Curd Lessig entdeckte die Gouache relativ spät für sich, nämlich 1977. Dass erst der reife, seiner Mittel bewußte und seine Mittel beherrschende Künstler zur Freiheit einer angedeuteten Abstraktion fand, mag zu denken geben. Vor allem denen, die Abstraktion für eine leichtfertige, gar leichtsinnige Sache halten. Lessigs Interesse an der Landschaft war freilich viel älter, hatte sich aber bis dahin in Landschaftsgemälden und vor allem Aquarellen niedergeschlagen. Die Aquarellfarben mit ihrer oft duftigen Verhaltenheit, genügten ihm aber nicht mehr für seine Vorstellung von "etwas Robustem", ein Wort, das er oft verwendet, wenn er von seinen Gouachen spricht. Um spontan arbeiten zu können, drückt er die Künstlerfarbtuben zu Hause schon griffbereit in ausgediente Plakadosen; Aspekte der Praxis, die selbst dem Kunstkenner häufig entgehen.
Zu diesen Forderungen der Praxis gehört auch die Auswahl der Pinsel, des Papiers und des Blattformats. Nur drei verschiedene Rotmarderpinsel - wegen der Elastizität - setzt er ein, das Papier ist strukturiert und mitunter getönt, das Blattformat in vier verschiedenen Varianten (15 x 22 cm, 22 x 31 cm, 29,5 x 41 cm, ca. 38 x 53 cm und 62 x 75 cm) bestimmt die Großzügigkeit oder Konzentration der Komposition. Um die Farben, die Pinsel und Wäscheklammern "sur le motif" zu schleppen, hat Lessig einen Werkzeugkasten, wie er in jedem realitätsgewappneten Haushalt anzutreffen ist, ausgeräumt und ihn zum tragbaren Atelier umfunktioniert. Früher malte er im Sitzen, das Blatt auf dem Boden liegend. Herrliche Fotos gibt es, auf denen er in der Landschaft hockt, das Auge gespannt, den Pinsel gezückt, als gälte es das Motiv anufzuspießen. Doch der Magen machte da nicht lange mit, krempelte sich um und Lessig mußte seine Arbeitshaltung umkrempeln. Heute sieht er an einem Campingtisch und arbeitet im Innereien schonenden Bücken, Rasch und ohne Skizze oder irgendeine Vorzeichnung entstehen die Bilder: "Kaum hab ich mich eingerichtet, dann geht's gleich los mit der Kleckserei", sagt Lessig respektlos zu seiner Arbeitsmethode.
Wie Cezanne seine Handschrift und seine Kunsttheorie Hand in Hand mit der Landschaft seiner allernächsten provençalischen Umgebung entwickelte, so ist auch Lessig eng mit den Motiven seiner fränkischen Heimat verwurzelt. Auf Reisen ist ihm ein ähnlich intensiver Zugang zur Landschaft verwehrt. Nur in Mainfranken, genauer mainabwärts, hat er seine "El Dorados" entdeckt: bei den Kalkfelsen zwischen Thüngersheim und Retzbach, bei Margetshöchheim, auch in der Fränkischen Schweiz. Dort hat er seine "eingeübten Ecken", die er alljährlich, bevor seine Mal-Jagdzeit beginnt, mit dem Auto abfährt, "um", so Lessig, "zu schauen, ob die Früchte schon reif sind zur Ernte". "Reif" sind seine Malfrüchte zwischen Oktober und April. Die Blütenpracht des Frühlings interessiert ihn selten, die Üppigkeit des Sommers nie. "All das grasgrüne Zeug kann man ja nicht malen", sagt Lessig. "Es tut mir immer weh, wenn ich sehe, was der Sommer mit unserer schönen Landschaft macht, überall das beschissene Grün".
Das satte, oftmals monotone Grün, die belaubten, die Sicht versperrenden Bäume und Büsche sind seine Sache nicht. Er braucht die Baumskelette des Winters, die grafisch kragenden Weinstöcke der Weinberge, das mürbe, flüsternde Schilf zur Anregung, aber auch zur schwarzen Linienzäsur in seinen Gouachen. Exakte Widergabe des Motifs bekümmert ihn kaum, er "malt nicht ab". "Wenn ein Baum mich stört, fällt er weg, wenn er falsch steht, wird er ins Bild verpflanzt und ein kleines, kaum sichtbares Ding in der Ferne hole ich mit meinem Tele-Auge heran, dann wirkt es monumental", meint Lessig. Felsformationen mit ihren verschiedenen Farbstrukturen, davor Weinberge oder Schilf gehören deshalb zu seinen Lieblingssujets.
Die jeweilige Witterung beeinträchtigt ihn nicht. Lessig ist kein Maler der gefälligen Beschaulichkeit oder gar der sonnensatten Idylle - ganz im Gegenteil. Er schätzt das dramatische Rumoren in der Landschaft, den dunkel dräuenden Himmel. "Ich muß diese Wolken herunterholen", erklärt er. "Es muß etwas bringen, und wenn's Unheil ist". Sturm und Schnee, Regen und selbst Dauernieseln kommen ihm nur recht, ihnen setzt er auch das Blatt aus, so dass Wasserspritzer und Spuren gefrierenden Wassers in der Gouache erhalten bleiben. Die Natur malt mit. Bereits Nolde schätzte diese Mitarbeit der Natur in seinen Aquarellen, und Lessig ist ganz sein Erbe, wenn er sagt: "Das sind wie reingeflüsterte Spuren der Natur. Das habe nicht ich gemacht, das Bild hat es gemacht". Nicht, dass er die Verantwortung über seine Arbeit ablehnt, Er teilt vielmehr die Inspiration zwischen Künstler und Natur auf.
Menschen, Tiere, Requisiten der Landschaftskultivierung tauchen, abgesehen von den Weinstöcken, in Lessigs Arbeiten nicht auf. Ab und zu mal ein zusammengekuscheltes Häusernest oder ein einzelnes Haus als Farbeinschluß, mehr Zivilisation läßt Lessig nicht zu. Freilich nicht aus thematischem Prinzip, sondern weil vereinzelte Gegenstände den freien Farbfluß stören, Denn einzig auf der Farbe, in der er blickend eintaucht und die er dann, nicht unbedingt naturgetreu, auf dem Blatt entwickelt, basieren seine Gouachen. Seine bevorzugten Farbtöne, die gebrochenen warmen, fast samtigen Töne findet er in den Felsen, der breit gelagerten Landschaft, den steinigen Weinbergen. In das flächenhafte Strömen der Farbe malt Lessig keine Binnenzeichnung: "Ich habe da nichts hineingemalt, damit die schöne Farbe nicht kaputtgeht", sagt er. Dafür stuft er den horizontalen Farbfluß mit blassen und festen Nuancen ab, setzt wärmere gegen kältere, lichtere gegen schwere Akkorde, fächert Farben in ihren Komplementärkontrasten auf. Das früher dominierende, feierliche Purpurviolett hat er in letzter Zeit aus seiner Palette verbannt. Es war ihm zu süffig in der heute gern in Grau und Brauntönen gehaltenen Farbskala.
Weich, fast stofflich fließt die Farbe, aufgefangen nur von kräftigen dunklen Flecken und den schwarzen, selten weißen Vertikalen, die die Musik der Landschaft wie Notenhälse strukturieren. Das Schwarz, Lessigs wichtigste Farbe, bindet die fließenden Farbtöne in kurzen Strichen in die Gegenständlichkeit ein. Das Schwarz wird in knappem, festen Pinselschlag entweder Weinstock oder Schilf. Wird Baumleib mit versickernden Rändern, Strauchbüschel oder wassergesättigte Kontur. Schwarz bildet immer das grafische Prinzip in Lessigs Arbeiten, balanciert auch die Horizontale in der Vertikalen aus. Räumliche Diagonalen, schräg in den Hintergrund führende Linien sind sehr selten. Denn Lessig geht es nicht um Illusionistisches, sondern um die Farbstimmung der Landschaft. Und diese Landschaft löst sich mehr und mehr vom kognitiv Sichtbaren, wird reine Farblandschaft, reine Farborchestrierung, voll Vitalität und Musikalität.
In seinen Reiseskizzen geht Lessig anders vor. Hier benutzt er ausschließlich Feder und Ölkreide, zeichnet auch oft nur mit Bleistift. Aus Italien, Frankreich, Mexiko, Lanzarote oder China bringt er neben unzähligen Dias immer eine dicke Mappe mit Reiseskizzen mit. Viele entstehen im Bus, während die Landschaft an ihm vorübergleitet. Mit touristischen Attraktionen beschäftigt er sich fast nie, sie gehören dem Foto. Dank seines fotografischen Gedächtnisses kann er schnell und sicher festhalten, was da vorbeihuscht. Aber auch hier ist ihm topografische Genauigkeit nicht wichtig. Aspekte verschieben sich vor seinem inneren Auge zu Farbkonzentrationen, Farbrhythmen und Farbeindrücken. Einzig dieses Farbspiel läßt auf südliche oder nördliche, filigrane oder deftige Landschaft schließen. Aber da ist ein für ihn typisches Phänomen: sowie die Feder eingesetzt wird, bei Menschen, Architekturstudien, Landschaftsporträts, zügelt und zähmt der Strich die Farbe und ruft sie zur abbildenden Ordnung und zur Disziplin. Hier kann man spüren, dass die Freiheit für Lessig allein in der Farbe wohnt, die Linie ihn aber immer wieder zurückholt in die fest umrissene Wirklichkeit.
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